Saalführer
Sophie Thun. Wet Rooms
Im Spiel mit den Begriffen von Massstab und Trompe-l’œil nehmen die grossen fotografischen Installationen von Sophie Thun den Ausstellungsort zum Ausgangspunkt. In einem komplexen Überlagerungsverfahren, das jeden festen Begriff von Raum und Zeit in Frage stellt, macht die Künstlerin die Produktions- und Manipulationsweisen von Bildern sichtbar.
Wet Rooms bezieht sich auf die Dunkelkammer, in der Sophie Thun ihre Fotografien entwickelt. Die Künstlerin arbeitet ausschliesslich mit analoger Fotografie, deren technische Möglichkeiten sie erweitert, indem sie Abzüge im Massstab 1:1 erstellt. Durch die Anwesenheit der für die Entwicklung von Bildern benötigten Fotochemikalien gekennzeichnet, ist dieser intime Raum auch ein Ort der Einsamkeit und Stille, in dem Thun ihre Vision der Welt rekonstruiert, insbesondere durch das Motiv des Fensters, das in ihrer Arbeit ständig auftaucht. Die Fensterreihe des Espace Projet kommt hier zu weiteren Elementen aus ihrem Repertoire hinzu. Dank eines kunstvollen Collageverfahrens, in dem sich Fotogramme und grossformatige Abzüge mischen, überlagert sie in der Art eines stets neu aktualisierten Archivs die Orte, an denen sie gelebt, gearbeitet und ausgestellt hat, mit ihrem eigenen Bild.
Für die Anfertigung ihrer Grossformate heftet Sophie Thun das Papier mit Magneten an eine Metallwand der Dunkelkammer. Diese Fläche ist nicht nur auf mehreren Bildern zu finden, sondern tritt auch physisch in der Ausstellung in Erscheinung, da die Künstlerin beschloss, die Projektionswand des Labors zu zeigen, in dem sie jahrelang in Berlin ihre grossen Farbabzüge anfertigte. Demontiert, weil keine ausreichenden wirtschaftlichen Möglichkeiten mehr bestehen, existiert diese Wand nur noch als Relikt. Sie symbolisiert die wechselseitigen Abhängigkeiten, die das Ende einer Technik besiegeln, und ist als Objekt, auf dem Farbabzüge berühmter Vertreterinnen und Vertreter der Fotografie angefertigt wurden, künftig Teil der materiellen Geschichte der Kunst.
Die Belichtungszeit des Negativs kann bis zu 20 Minuten dauern, während denen jede Bewegung im Raum zwischen Vergrösserungsapparat und Projektionswand festgehalten wird. Thun nutzt diesen Umstand, um persönliche Objekte wie ihre Wohnungsschlüssel, ihre Brille oder ihre Schere auf dem Papier zu befestigen und zudem ihren Körper gegen die Oberfläche des Papiers zu pressen, die auf ihre Berührung reagiert. Auf diese Weise erscheinen auf dem endgültigen Bild Silhouetten im Negativ.
Sophie Thun begann 2019 damit, ihr eigenes Bild für die Serie After Hours zu zerschneiden und zu vervielfachen. Damals konnte sie sich ihrer persönlichen Arbeit nur abends in Hotelzimmern widmen, in denen sie übernachtete, nachdem sie als technische Assistentin die Werke bekannter – männlicher – Fotografen reproduziert hatte. In die Dunkelkammer zurückgekehrt, zerschneidet sie die Negative und kombiniert aktive und passive Posen. Indem sie sich auf die Frage der Selbstdarstellung konzentriert, ist sie zugleich jene, die das Bild erzeugt, und jene, die sich selbst ausstellt, Urheberin und Objekt. Damit kehrt sie die Machtdynamik um, die im Mittelpunkt der Darstellungsstrategien stand, welche lange die Geschichte des weiblichen Akts oder der Pornografie prägten. Doch diese Bekräftigung wird von einer Form des Verschwindens begleitet. Ihr vervielfachter, zerteilter und neu zusammengefügter Körper ist zugleich überall und nirgends.
Zudem lässt die Künstlerin ihr eigenes Bild einen Dialog mit der mehr oder weniger expliziten Anwesenheit von Figuren führen, die sie in ihrer Reflexion leiten. Zu erkennen sind das Archiv der lettischen Fotografin Zenta Dzividzinska, das Gesicht des Performancekünstlers Ulay oder die Tür der Wohnung von Daniel Spoerri, dem Sophie Thun während seiner letzten in Wien verbrachten Jahre nahestand. Aus diesen Begegnungen bezieht sie Bilder mit mehrdeutigem Status zwischen Dokument und Hommage, wie die Reproduktion von La Vie Pensive (1908) von Louise Breslau zeigt. In diesem Gemälde aus der Sammlung des MCBA stellt sich die Schweizer Malerin deutscher Herkunft in einer Interieurszene mit ihrer Gefährtin dar. Sophie Thun eignet sich dieses Bild an und gliedert es in die Genealogie ihrer eigenen Emanzipation ein. So wird die Ausstellung zum Ort, an dem verschiedene Fragmente einer vielschichtigen Identität nebeneinander bestehen und sich die Umrisse einer Autofiktion abzeichnen.
Biografie
Sophie Thun (*1985) lebt und arbeitet in Wien und Berlin. Aufgewachsen in Warschau, studierte sie zunächst Grafik in Krakau sowie Malerei und später Fotografie an der Akademie der bildenden Künste in Wien.
Im Jahr 2024 erhieltsieden Otto-Breicha-Preis für Fotokunst. Augenblicklich ist sie als Vertretungsprofessorin der Klasse Fotografie an der Kunstakademie Düsseldorf tätig.
Im Juni 2025 wird im Muzeum Sztuki in Łódź, Polen, eine Einzelausstellung Sophie Thuns eröffnet. Zu ihren neuesten Einzelausstellungen gehören Zwischen Licht und Wand, Museum der Moderne Salzburg (2024); Leaking Times, Cukrarna, Ljubljana (2023); Trails and Tributes, Kunstverein Hildesheim (2022); I don’t Remember a Thing. Entering the Elusive Estate of ZDZ* Sophie Thun and the archive of Zenta Dzividzinska, Kim? Contemporary Art Center, Riga (2021); Stolberggasse, Secession, Wien; Extension, C/O Berlin (2020).