Besucherführer
Uriel Orlow. Forest Futurism

Uriel Orlow ist ein multidisziplinärer Künstler, dessen prozess­ orientiertes Schaffen auf Recherchen beruht. Seit fast zehn Jahren stehen regelmässig Pflanzen im Mittelpunkt seiner Arbeit. Sie sind Zeugen und zugleich Protagonisten besonderer Geschichten, die durch sie ans Licht gebracht oder anders gelesen werden können, ob es sich nun um Unwägbarkeiten unseres Kolonialerbes oder unser Verhältnis zur Natur handelt.

In seiner Ausstellung präsentiert Orlow Forest Futurism, das Ergeb­ nis einer Recherche, die er in den italienischen Alpen in der Region Meran begann. Das Projekt entstand im Rahmen des Residenzpro­ gramms von BAU, einem Institut für zeitgenössische Kunst und Ökologie, das Kunstschaffende einlädt, Arbeiten zu entwerfen, die der besonderen Lage des ländlichen Südtirols entsprechen, und untersucht die langen Zeiträume des Klimawandels. Der Künstler arbeitete mit einer Paläobotanikerin und Forschenden, die Klima­ modelle erstellen, sowie mit Kindern eines Waldkindergartens zu­ sammen, um unsere Verbundenheit mit der Mehr­als­menschli­ chen­Welt zu erkunden und neue Formen der Koexistenz mit der Natur auszudenken.

Orlow erklärt: «Das von mir entwickelte Projekt begann an einem be­ stimmten Ort, wo mehr als 280 Millionen Jahre alte versteinerte Bäume oder Baumstücke gefunden wurden. Dieser Ort ist insofern interessant, als er nach einer Eiszeit entstand und der dortige Wald in einer Zeit des Klimawandels wuchs, als sich die Erde erwärmte. In gewissem Sinne können wir also in der Vergangenheit sehen, was in der Zukunft geschehen könnte, wenn das Klima wärmer und trockener wird. Ich wollte also über die ferne Vergangenheit nach­ denken und darüber, was sie uns über die Zukunft lehren kann.»

Die Recherchen des Künstlers spiegeln sich insbesondere in dem hier gezeigten Film Wir haben unsere Zukunft bereits erlebt, doch wir erinnern uns nicht an sie (2024), der auf monatelangen Dreharbeiten über mehrere Jahreszeiten hinweg beruht. Auf die Frage nach der Bedeutung des Mediums Film für seine Arbeit bemerkt Orlow: «Am bewegten Bild interessiert mich, dass es unseren Blick in die Dauer einschreibt. Es geht also um ein längeres Hinschauen, aber auch  um das Geschichtenerzählen, sei dies mit Bildern und Ton oder mit Sprache.» Tatsächlich bewegt sich der Film zwischen einer fakti­ schen, visuellen Dokumentation des Orts und Inszenierungen, in denen die Kinder die Protagonisten sind. So berichten Stimmen aus dem Off präzise über Ereignisse im Zusammenhang mit lang­ fristigen Klimaveränderungen, während im Bild die Schüler:innen des Waldkindergartens Birkenwald den Wald erleben und über ihn sprechen, ihn sich vorstellen und ihn besingen, ihn in seiner eige­ nen Entwicklung und in seiner Beziehung zu Menschen und Tieren beschreiben. Als künftige Akteur:innen unserer Beziehung zur Natur befinden sie sich in der Gegenwart, an der Biegung zwischen der immens langen Zeit, die ihnen vorausgeht, und den Möglich­ keiten der werdenden Zeit.

Als weiteres Ergebnis seiner Recherchen präsentiert Orlow eine Reihe von Skulpturen, um dem Zeugnis­Objekt der versteinerten Bäume, diesen « Fahrzeugen für eine Zeitreise », wie der Künstler sagt, eine materielle Präsenz zu verleihen. Die aus Vulkangestein gefertigten Skulpturen sind 3D­Drucke versteinerter Bäume. Sie enthalten somit sowohl die von den Bäumen mitgebrachten Spuren der Zeit als auch die Gegenwart der ortsspezifischen Geologie.

Schliesslich fordert ein zukunftsorientiertes Manifest, das die Besu­ chenden konsultieren und mitnehmen können, dazu auf, sich eine Zukunft vorzustellen, die von den Lektionen, die uns die Bäume ge­ ben können, inspiriert ist – « Der Wald fordert uns auf, aufmerksam zu sein, zuzuhören, dazusein. »

Biografie

Uriel Orlow (geb. 1973 in Zürich, lebt und arbeitet in London, Lissabon und Zürich) studierte in London am Central Saint Martins College of Art & Design und an der Slade School of Art, University College London. Er wurde mit dem Schweizer Grand Prix Kunst / Prix Meret Oppenheim 2023, dem CF­ Meyer­Preis 2020 und dem Preis der Sharjah­Biennale 2017 ausgezeichnet. Zudem erhielt er den Preis der Stadt Zürich 2015 und drei Swiss Art Awards (2008, 2009, 2012). Seine Arbei­ten wurden auf internationalen Ausstellungen, darunter der 54. Biennale von Venedig, Manifesta 9 und 12 in Genk und Palermo, sowie in zahlrei­ chen Museen, Galerien und Filmfestivals gezeigt. Er unterrichtet an der Zürcher Hochschule der Künste (ZHdK), an der University of Westminster, London, und am Maumaus, Lissabon.