Saalführer
Babi Badalov. Xenopoetri
2.2.2024 – 28.4.2024 Espace Projet
Die Arbeit von Babi Badalov (*1959, Lerik, Aserbaidschan) wurzelt in der Erfahrung von Vertreibung und Marginalität und ist von der Frage der Kommunizierbarkeit geprägt. Wie können wir uns an eine Person wenden, die uns nicht versteht, die mit uns nicht dasselbe Alphabet und denselben kulturellen Hintergrund teilt? Das Ergebnis ist ein reichhaltiges Werk, das von der Ästhetik der Collage bestimmt ist.
Badalovs künstlerischer Werdegang ist untrennbar mit seiner Exilerfahrung verbunden. Der Künstler wächst in einer der fünfzehn ehemaligen Republiken der UdSSR am Schnittpunkt der persischen und aserischen Kultur auf. In den 1980er-Jahren lässt er sich in St. Petersburg nieder und wird zu einer Figur der Underground-Szene, die sich gegen das sowjetische Regime auflehnt. 2011 erhält Badalov politisches Asyl in Frankreich, nachdem er zuvor illegal in den USA, der Türkei und Grossbritannien gelebt hat. Im Jahr 2018 eingebürgert, fühlt er sich dennoch ständig als Fremder. Der Künstler, der fliessend sieben Sprachen spricht, ohne eine davon vollständig zu beherrschen, stellt Schrift und Sprache in den Mittelpunkt seiner Arbeit. Durch die Entwicklung komplexer semantischer und grafischer Spiele hebt er die Ambivalenz der Sprache hervor, welche die Schwierigkeiten der Kommunikation wie die Überwindung der Grenzen symbolisiert.
Die Zeichnung nimmt im Schaffen des Künstlers einen zentralen Platz ein. Badalov lässt seinem Strich freien Lauf und füllt täglich die Seiten seiner Notizbücher, die in der Folge als Grundlage für den Rest des Werks dienen. Einige zeugen von seinen grafischen Erkundungen, andere beruhen auf dem Erlernen der französischen Sprache oder integrieren auf der Strasse gesammelte Elemente mit oft politischem Inhalt. Die Zeichnungen beruhen häufig auf bestehenden Bildern; die Linie setzt das ursprüngliche Motiv fort, um visuelle Spiele zu schaffen. Indem Badalov dieses Vorgehen in grossen Massstab überträgt und Malereien auf gebrauchten Stoffen einbezieht, gestaltet er seine Wandinterventionen in situ.
Seine selten ausgestellten Gemälde aus den späten 1980er- Jahren zeugen bereits von einer Vorliebe für die Collage. Sie nutzen ein formales Vokabular, das Bezüge zum russischen Konstruktivismus und zur ornamentalen Kalligrafie mischt. Die Titel sprechen von einem laufenden Prozess in einer Welt, die 1989 in der UdSSR kurz vor dem Zusammenbruch steht. Es handelt sich hier um einen dezentrierten Blick, der die Welt von der Peripherie aus beobachtet und, gestützt auf die Erfahrung von Unterdrückung und Ablehnung, nach Orientierung sucht. Als Anarchist, Punk und Homosexueller, wie er sich selbst bezeichnet, musste Badalov mit seiner Heimat abschliessen, um seine Freiheit zu erlangen. Ab den 2010er-Jahren findet er eine weitere Möglichkeit, diesem Blick eine Form zu geben und schafft eine visuelle Poesie, die keiner bestimmten Sprache zugeordnet werden kann und von der Verwendung des Globish beherrscht wird, einer vereinfachten Fassung des Englischen, die sich im Gespräch zwischen Nicht-Mutter- sprachlern ergibt und manchmal auch als broken English bezeichnet wird. Eine Poesie auf der Grundlage einer gebrochenen Sprache, in der Fehler die Regel sind, einer Sprache ausserhalb der Norm, die von Akzent und Mündlichkeit geprägt ist.
Im Jahr 2022 filmt der portugiesische Künstler Mauro Cerqueira (*1982) Badalov, der sich in Marokko auf die Spuren von Jean Genet begibt. Als Dichter der Freiheit und des Anderswo, Straftäter und Mann ohne Bindung, Wohnsitz und Heimat ist Genet eine Figur, die inspiriert und Bewunderung erregt. Die Kamera des Videokünstlers begleitet Badalovs Reise von Tanger über die Gare du Nord und das Zimmer 205 im Jack’s Hotel in Paris, wo Genet 1986 starb, bis nach Larache, wo der Schriftsteller begraben ist. O suor da noite – Babi e Genet [Der Schweiss der Nacht – Babi und Genet] zeigt Momente des länd- lichen Lebens, begleitet von Badalovs Lesung des langen Gedichts Le Condamné à mort [Der zum Tode Verurteilte], das Genet 1942 schrieb, als er im Gefängnis von Fresnes in der Nähe von Paris eine Haftstrafe verbüsste. In seinem Ausländerfranzösisch mit eigenartiger Aussprache zollt Badalov der Sprache Genets Tribut. Mit seinem Blick auf diese parallelen Leben, die aus Wanderung und Wörtern bestehen, bringt Cerqueira zwei Künstler zusammen, welche die Poesie zu einer Heimat ohne Land machten.
Biografie
Babakhan Badalov, genannt Babi Badalov, wurde 1959 in Lerik, Aserbaidschan, geboren. Er studierte von 1974 bis 1978 an der Akademie der Schönen Künste in Baku.
Seit Ende der 1990er-Jahre widmeten ihm zahlreiche Institutionen Einzelausstellungen, darunter das Institut National d’Histoire de l’Art Paris (2022), das Erarta Museum für Moderne Kunst St. Petersburg (2018), das Museum van Hedendaagse Kunst Antwerpen (2018), das Palais de Tokyo Paris (2016), der Kunstraum München (2015) und das Karvasla Art Center Tiflis (2004).
Babi Badalov nahm unter anderem an der Gwangju Biennale, Südkorea (2016), der Jakarta Biennale, Indonesien (2013), der Manifesta 8, Murcia, Spanien (2011) und der ersten Biennale von Thessaloniki, Griechenland (2007) teil. In der Schweiz wurden seine Werke in Gruppenausstellungen in der Shedhalle Zürich (2018), im Kunstmuseum Bern (2011) und im Manoir de la ville de Martigny (1993) gezeigt.
Arbeiten Badalovs befinden sich in den Sammlungen wichtiger Institutionen wie dem Museo Nacional Centro de Arte Reina Sofía Madrid, dem Musée d’Art Moderne de la Ville de Paris, dem Stedelijk Museum Amsterdam und dem Russischen Museum St. Petersburg.